Den Wunsch der Verbindung angewandter und bildender Kunst teilt Eva Berendes mit historischen Kunstbewegungen wie etwa Bauhaus oder dem Russischen Konstruktivismus. Wie bei diesen kommt auch in Berendes Werk dem Raster eine besondere Bedeutung zu – sei es als modulare Struktur ihrer zwischen Architektur und Skulptur angesiedelten Objekte, als Textil-Design oder als Grundeinheit der aus Metallgitter konstruierten Standschirme, deren Standfestigkeit ebenfalls rasterförmige Verstrebungen gewährleisten.
Diesem beliebten Ordnungsschema der Moderne bescheinigte Rosalind E. Krauss, so sähe Kunst eben aus, wenn sie sich von der Natur abwende.[1] Berendes aber betrachtet organische und anorganische Elemente nicht zwangsläufig als Widerspruch und ordnet geometrische Formen und industriell gefertigte Materialien in lebhaften und wandlungsfähigen Konstellationen an. Insbesondere in den Paravent ähnlichen Skulpturen erzeugt die Überlagerung der halbdurchsichtigen Gitter ständige Farb- und Formveränderungen. Während die frontale Ansicht eine harmonische Reihe fünf grundverschiedener Elemente erkennen lässt, ergibt eine Verlagerung des Standorts ein kristallines Gefüge von Auf- und Durchsichten in irrisierenden Schattierungen.
Reminiszenzen an die Moderne setzen sich im Zusammenhang mit Andrea Büttners Holzschnitt fort. Im Zusammenhang mit ihrer Dissertation, die von der künstlerischen Bedeutung von Scham handelt, hatte die in unterschiedlichen Medien arbeitende Künstlerin allerlei Formen mit Scham behafteter Aktivitäten durchprobiert und war schließlich auf den Holzschnitt gestoßen. Sein Status als konkurrenzlos peinliche Praxis zwischen Klassischer Moderne und Volkshochschule qualifizierten ihn zum Inbegriff des Uncoolen – inmitten all der schicken Kunst, von der Büttner sich absetzen wollte.
So lernte sie den Holzschnitt als Teil einer einer alternativen Kunstgeschichte schätzen. Nachdem er spätestens seit dem 15. Jh. als Massenmedium Verwendung fand, wurde er in den 1950er Jahren durch HAP Grieshaber wieder belebt, und mit ihm die Tradition des Expressionismus, die zur Zeit Grieshabers als ähnlich überholt galt wie Grieshaber selbst, als Büttner wiederum ihn ins öffentliche Gedächtnis holte. Wie Büttner hatte sich Grieshaber für das Kunstgewerbe christlicher Nonnen interessiert und sie in künstlerischen Techniken unterrichtet. Diese geistige Verwandtschaft veranlasste Büttner, sowohl Grieshabers Arbeit als auch die der Nonnen als wohltuend unzeitgemäße Antwort auf die mit schönster Regelmäßig erfundenen Räder in Stellung zu bringen.
So gesehen teilen Büttner und Berendes nicht nur das Interesse an allerlei „unvollendeten Projekten der Moderne“ sondern auch das für Kunsthandwerk.
Die Missachtung überkommener Hierarchien setzt sich im Werk von Knut Henrik Henriksen fort. Auf der Basis geometrischer Grundformen, unprätentiöser Materialien sowie überraschend einfacher Operationen wie Klappen und Falten, Aus-, Abschneiden und anderswo wieder Einfügen handeln seine Skulpturen von den Proportionen der Objekte untereinander oder auch im Verhältnis zum Betrachter. Charakteristisch sind Kanten, die in gedachte Linien übergehen, ohne dabei an Prägnanz zu verlieren, die rhythmische Wiederkehr von positiv und negativ, von offenen und geschlossenen Durchblicken, von Licht und Schatten. Weitere Konstanten sind Visualisierungen mathematischer Gleichungen, etwa durch Multiplikation und Division von Maßen und Flächeninhalten, die Abstraktion organischer zu geometrischen Formen, die Manipulation der Wahrnehmung durch Entfernungen, das Verhältnis von Stabilität und Flexibilität. Etliche der architektonischen Interventionen machen unterbewusste Empfindungen wie Höhe, Weite, Länge und Proportion von Räumen bewusst, während die Skulpturen Raum, d.h. negative Volumina durch Vervollständigung als positive Körper und Formen wahrnehmen lassen.
Sowohl die Formsprache des Konstruktivismus kehrt bei Alan Reid wieder – wenn er etwa elementare Formen in Primärfarben als Teile früherer Collagen verwendet – als auch die Vorliebe für das Design der Moderne, das er in aktuellen Arbeiten zitiert.
Grundlage seiner Collagen bilden altmeisterlich ausgeführte Zeichnungen, die Reid weniger als Grafik, d.h. aus der Linie entwickelte Abstraktion, denn als kopierte Gemälde begreift, und in denen er das Ideal weiblicher Schönheit karikiert, wie es sich seit den Prä-Raffaeliten in Jugendzimmern und auf Motorhauben erhalten hat. In einem Kommentar erwähnt Reid die etymologische Verwandtschaft von „Boudoir“ mit dem englischen Wort für „Schmollen“, was die stilisierte Mundform der Figuren erklärt.
Neben der teilweise grotesken Steigerung der Gesichtszüge entsteht eine zweite Irritation durch abrupte Begrenzungen der Zeichnungen, die keinerlei Zusammenhang mit der mimetischen Darstellung erkennen lassen und somit abermals das vermeintliche Porträt als ein Gestaltungsmittel unter anderen ausweisen.
Die der Modefotografie entnommene Vorlage bezeichnet Reid als bloße Kontrollmaßnahme – die unveränderte und daher typisierte Ausgangsvoraussetzung, die ein Experiment wiederholbar und somit erst zu einem solchen macht – ein Experiment, das in der Kombination verschiedener Bild- und Zeitebenen besteht.
[1] „It is what art looks like when it turns its back on nature.“ Krauss 1985 S.9.