Ein halbes Jahrhundert nach Frank Stellas Hinweis „what you see is what you see“ wollen wir’s noch immer nicht glauben. Wir sehen, was wir sehen. Sonst nichts. Keine philosophischen, psychologischen oder andere verborgene Botschaften. Doch irgendwo unter dem Schein muss es sein, das Sein.
In dieser Ausstellung hingegen ist alles gemalt – einschließlich das Sein. Und das kann man sehen. Wenn man denn sehen kann.
Genau das ist aber zuweilen das Problem, und dessen nimmt Emanuel Seitz sich an. Anstelle uns von der Leinwand in das Kino im Kopf zu locken, zeigt er uns wie wir sehen – genauer scannen oder assoziieren oder sonstwie interaktiv werden, statt zu sehen, was zu sehen ist. Und das ist mehr als genug.
Eine Konstante seiner neuen Arbeiten besteht in der Trennung zweier Ebenen. Auf den ersten Blick lassen sich Vorder- und Hintergrund eindeutig unterscheiden. Auf den zweiten fächert sich der vermeintliche Hintergrund in die sichtbare Geschichte seiner Entstehung auf. Dank der durch ruhige Farben und Formen sensibilisierten Wahrnehmung werden frühere Stadien wie Sedimente erkennbar.
Das oben und offen zutage Liegende scheint wie das letzte Wort nach einer Reihe von Überarbeitungen, eine endgültige Entscheidung, die einstiges Für und Wider in beredtem Schweigen begräbt – zumindest solange, bis das Auge die Untiefen bemerkt, die sich unter der scheinbar homogenen Flächen auftun. Die nachvollziehbare Kette erwogener und verworfener Überlegungen kulminiert in einem Ist-Zustand, der seine Genese sichtbar bewahrt.
Streifen bewegen sich von Zentren nach außen, oder gliedern die Fläche hierarchiefrei als eben- aber nicht gleichmäßiges Netz. Die Sachlichkeit der klaren Figuren und ihrer gemessenen Bewegungen spielt sich zwar innerhalb horizontaler, vertikaler und gelegentlich diagonaler Koordinaten ab, ersetzt aber mathematische Korrektheit durch eine sinnliche, mitunter fast haptische Auffassung der geometrischen Grundform.
Der Blick wird mitgenommen auf Pfaden, deren farbliche Differenzierung Fortbewegung suggeriert. Ob steigend und fallend, aus- oder einwärts drehend liegt im Auge des Begleiters, der die Achsen mit dem Blick durchwandert und dabei viel über die eigene Befindlichkeit erfährt.
Ob wir verstellten oder beleben Raum erkennen, ob Gerüste wanken, ruhen oder die Fläche sogar stabilisieren, ob sie ein- oder zwieträchtig verlaufen, sich gegenseitig beherrschen oder unterstützen – all diese Urteile beruhen auf unserer Vergangenheit und Gegenwart, auf Biografie und Lebensgefühl. What you see is what you are.
Die Mitteilungsform des Bildes unterscheidet sich von der linearen Logik der Sprache. Die seit Umberto Eco gern zitierte Offenheit aktueller Kunst macht eine Fülle von Angeboten, ohne Lesweisen vorzugeben. Emanuel Seitz’ Gemälde mit dem stillen Schwung stehender Wellen führen diese Vieldeutigkeit und damit Anschlussfähigkeit vor Augen.
Was wir sehen, ist was zu sehen wir gelernt haben. Diese Bilder sind eine gute Gelegenheit.
Half a century after Frank Stella’s thesis “what you see is what you see“ we still can’t believe it. Right. So we see what we see. And that’s about it. No hidden meanings. And yet: somewhere behind the appearance reality must be.
In this show however everything really is painted – including reality. And all is there to be seen – provided you’re able to do so.
For that’s the very problem; and Emanuel Seitz is attending precisely to that. Instead of luring us away from the canvas straight into our mental cinema he presents us with the way we see – how we scan or associate rather, or get interactive otherwise, as opposed to seeing what there is. Which would be more than enough.
A common theme of Seitz’ recent work is the picture plane’s division into two levels. On the face of it, the foreground and its back are clearly distinct. Upon closer inspection the supposed rear unfolds the history of its formation. Due to an awareness heightened by mute colours and forms, earlier stages become apparent like some sort of sediments.
The upper and hence manifest stratum resembles the final word after a series of revisions, an ultimate decision burying former pros and cons in a telling silence – at least until the eye becomes aware of the shoals gaping beneath the seemingly homogeneous surface.
Thus having become traceable, the chain of considered and discarded deliberations culminates in a final state that preserves its genesis visibly.
Stripes move outward from various centres, or else divide the plane into even but not uniform compartments. Sober figures perform measured movements within horizontal, vertical and occasionally diagonal coordinates, thereby substituting mathematical correctness by a sensuous, sometimes almost tactile conception of the not quite geometric pattern.
The gaze is taken along paths whose differentiation in terms of colour suggests locomotion. Whether they ascend or descend, whether they turn in- or outward is in the eye of the beholder. Roaming the grid with our eyes we learn a lot about our condition.
Whether we discern a space cluttered or enlivened, whether scaffolds falter, rest or even stabilise the plane, whether they run accordingly or disaccordingly, subject or support each other – all these evaluations are based on our past and present, our biography and attitude towards life. What you see is what you are.
A painting’s form of communication is beyond the linear logic of language. Contemporary art’s much-cited openness offers an abundance of readings without predetermining a particular one. Emanuel Seitz’ painting with their calm vibration of stationary waves lend this ambiguity its visual form.
What we see is what we’ve learned to see. These images are a favourable opportunity to do so.