PIETRO SANGUINETI
the
CENTER
September 11 – October 30, 2010
Photo by Wolfgang Günzel
Die synthetische Glätte der Buchstaben verrät keinerlei Handschrift und spiegelt so die inhaltliche Neutralität dieser kleinsten gemeinsamen Nenner der Sprache. Erst ihre Zusammenstellung macht sie zu Bedeutungsträgern. Gleiches geschieht mit aus dem Zusammenhang gelösten Begriffen: Allein der Verbund mit anderen gibt dem einzeln richtungslosen Fragment Sinn. Ebenso wie die Elementarteilchen, vulgo Wörter, durch die Art ihrer Kombination sinnvolle Gestalten bilden, entwickeln auch Sanguinetis verbale Platzhalter erst durch Einbettung in das Assoziationsfeld der Betrachtenden Gehalt. Angeregt durch die technische Brillianz von Form, Farbe und Material, oder auch durch die semantische Bedeutung füllen wir die unverbindlichen Leerstellen mit Interpretation.
Diese automatisch einsetzende Anreicherung funktioniert nur dank Sanguinetis Beschränkung auf einzelne Worte. Mag die Bedeutungsvielfalt seiner Begriffe der von Lyrik entsprechen, vermeidet er die sich dort durch poetische Kombinationen ergebende Assoziationsfülle zugunsten einer Vertiefung ins einzelne Wort. Solche Konzentration auf Grundbausteine der Sprache ist das Letzte, das wir gewöhnlich tun, und das Erste, das wir vielleicht tun sollten. Sanguinetis Dramaturgie steht dem Sprachmolekül den Raum und die Zeit zu, die ihm sein real-existierender Gebrauch verwehrt. Unbeeinflusst von vorhergehenden und nachfolgenden Modifikationen hallt es nach auf der Wand, verebbt im Raum, verklingt in der Stille, die durch das Fehlen konkurrierender Begriffe entsteht. Ohne Verknüpfung mit erworbenen und selten in Frage gestellten Assoziationen, nicht überlagert von Wörtern mit Signalcharakter erlaubt der alleinstehende Begriff eine weniger konditionierte Wahrnehmung. Zwar ist das so ermöglichte Neu-Sehen des Schriftzugs nicht mit vollständig bedingungslosen Gewahrsein zu verwechseln, denn mit der Sprache erlernen wir auch die darin gespeicherten Inhalte. Doch das ablenkungsarme Darbieten des einzelnen Wortes erlaubt, sich selbst beim Assoziieren zuzuhören und gibt den Blick frei auf die daran geknüpften Erinnerungen.
Der Anblick von the CENTER löst umgehend die Frage nach der Peripherie aus. Zentrum wovon? Die Ratlosigkeit und daraus resultierende Unruhe verdeutlicht den Grund für die öffentliche Allgegenwart dieses Begriffs. Ebenso wie viele der von Sanguineti bevorzugten Worte verdankt sich die Beliebtheit der Worthülse „Center“ ihrer Sinnlosigkeit – diplomatischer ausgedrückt: Vieldeutigkeit. Ohne nähere Erläuterung ist er so viel- wie nichtssagend, könnte Center for Universal Studies bedeuten, oder Reifen-Center.
Doch die Überlegung, ob uns zuerst Center for World-Peace oder Döner-Center einfällt, betrifft lediglich die inhaltliche Ebene. Mindestens ebenso relevant ist die ästhetische Präsenz der Schrift. Farbe, Beleuchtung, Kontur und räumliche Ausdehnung verleihen den Buchstaben eine Eindringlichkeit, die ihre gewöhnliche Einordnung innerhalb eines Textes nicht zulässt. In dieser Betonung der Macht des gedruckten Wortes – nicht Satzes – ähneln Sanguinetis Schriften optisch denen der Werbegrafik. Während Letztere aber die maximale Reduktion möglicher Verstehensweisen zugunsten der Aufmerksamkeit auf das unvergleichliche Produkt, die unverwechselbare Marke anstreben, erzielt Sanguineti das genaue Gegenteil, nämlich Bedeutungsoffenheit.
Der das Center ergänzende bestimmte Artikel bekräftigt den Alleinvertretungsanspruch dieses Zentrums, würde doch sein Fehlen darauf schließen lassen, dass es sich um ein Zentrum, d.h. eins von mehreren handelt. Um es hingegen als Zentrum der Zentren hervor zu heben, verzichtet man auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen ungern auf Zutraulichkeiten wie „Ihr persönliches X-Center“ oder „das Y-Center für die ganze Familie“ und dergleichen. Sanguinetis Verzicht auf eine solch personalisierte Annäherung kommt einem Alleinstellungsmerkmal gleich, scheint doch the CENTER keiner Erklärungen zu bedürfen.
Die Anziehungskraft der Installation in einer im Stadtzentrum gelegenen Galerie verdankt sich einer zweiten, eher psychologischen als ästhetischen Lesart. In Bezug auf unsere innere Befindlichkeit ist der Aufenthalt in der Mitte ein Ausnahmezustand innerhalb eines Lebensgefühls, das sich vorwiegend zwischen Extremen hin und her bewegt. Zentriertheit hingegen, die Stille im Inneren des Zyklons, ist selten so stabil wie die solide wirkende Type glauben lässt. Denn statt beständiger Ruhe ist Ausgewogenheit genau das: Ein unablässiges Austarieren von Unwucht mit Hilfe von Mikro-Bewegungen. Je rarer der Aufenthalt im Zentrum, desto größer die Verheißung namens the CENTER– obwohl oder weil sie das letztlich Unerreichbare verspricht.
Die Irrealität der Erfahrung von Ausgeglichenheit ist der Grund für den inflationären Gebrauch von Begriffen wie „Balance“ und „Harmonie“ in der Werbung. Wie eine Provokation wendet sich diese Versprechung von the CENTER daher der Fensterfront und somit der Öffentlichkeit zu – die geradezu unverschämte Behauptung eines mythischen Zustands.
Die scheinbare Allgemeinverbindlichkeit des in vielen Sprachen gebräuchlichen Ausdrucks täuscht übrigens. Statt eines ob seiner Verbreitung nahezu neutralen Wortes ist Sanguinetis Variante die US-amerikanische Form eines Wortes, das im Einzugsgebiet Großbritannien Centre lautet. Insofern spiegelt die Selbstverständlichkeit, mit der wir die amerikanische Version als Norm akzeptieren, eine politische Realität des gefühlten Zentrums USA.
Die anziehende Wirkung von the CENTER verdankt sich der Tatsache, dass es für den Ist- und Soll-Zustand gleichzeitig steht. Beim bloßen Anblick fühlen wir uns unmittelbar angesprochen, denn tatsächlich ist jeder Mensch das Zentrum des Universums– das Zentrum der erfahrbaren Realität. Einen Soll-Zustand hingegen verkündet es, weil wir unterschwellig zur Ansicht neigen, dass the CENTER den uns eigentlich zustehenden Ort bezeichnet, unseren angestammten Platz, wo wir hingehören – ins Zentrum.
Insofern verspricht das Betreten der Ausstellung die offizielle Anerkennung insgeheim empfundener Wahrheiten. Spätestens der Blick ins spiegelnde Zentrum bestätigt, dass sich dort befindet, was man immer dort vermutete: Die eigene Person. Somit könnte das Zentrum des Universums – nämlich ich – endlich den ihm angemessenen Thron in Besitz nehmen.
Doch kaum fühlt man sich am Ziel, löst es sich einer Fata Morgana gleich auf. Anders als eine räumliche Situation erlaubt die Schrift keinen Aufenthalt im Zentrum. Stattdessen steht man buchstäblich vor der Wand, welche jeden Zutritt – ein Sich-selbst-ins-Zentrum-Stellen – verweigert. Das erhoffte Zusammenfallen von Wort und Inhalt erweist sich als unhaltbares Versprechen. Machtvoll, verlockend und unnahbar steht das Zentrum vor uns. Wir dürfen hineingucken, und wieder einmal ist es ganz nah, aber leider woanders.
The synthetic smoothness of the letters reveals no handwriting and so reflects the inherent neutrality of this smallest common denominator of language. Only by placing them together do they become carriers of meaning. The same goes for terms torn out of context: only the connection with others endows the directionless fragment with coherence. Just like the elementary particles that are common words, build meaningful forms through the way they are combined, so too do Sanguineti’s verbal wild-cards first gain content within the viewer’s field of association. Stimulated by the technical brilliance of color, form, and material, or also by semantic meaning, we fill unconnected empty spaces with interpretation.
This automatically occurring enhancement only works thanks to Sanguineti’s limitation to single words. If the multiplicity of meaning attached to his words is like that of verse, he avoids the plethora of association which occurs there through poetic combination in favour of an immersion in individual words. Such concentration on the fundamentals of language is the last thing we usually do, and perhaps the first thing we should do. Sanguineti’s dramaturgy grants the language molecule the space and time that are denied it in its normal use. Uninfluenced by past and future modifications, it echoes against the wall, ebbing into space, fading into the silence which emerges due to a lack of competing words. Without a link to acquired and seldom-questioned associations, not crowded out by words with signal character, the single word allows a less conditioned perception. The new sight this enables must not be confused with a completely unconditional awareness, for with language, we also learn the content stored within it; yet this presentation of single words with few distractions allows one to hear one’s self associating and to view freely the memories linked to the
The sight of the CENTER immediately calls up questions of the periphery. The center of what? This perplexity and resulting unrest emphasizes the reason behind the words public ubiquity. Like many other words preferred by Sanguineti, the shell of a word that ‘Center’ is has its pointlessness or – more diplomatically – its ambiguity to thank for its popularity. Without further comment, it is as meaningful as it is meaningless, could mean Center for Universal Studies or tyre center.
Yet the consideration of whether we think first of Center for World-Peace or kebab center only regards content. The aesthetic presence of writing is at least as relevant. Color, lighting, contour and spatial dimensions give the letters an impact, which their usual placement within a text does not allow. With this emphasis on the power of the printed word – not the sentence – Sanguineti’s writing bares similarity to advertising graphics. While the latter, however, go for maximum reduction of possible meanings, Sanguineti aims for the opposite, openness of meaning.
The definite article accompanying the CENTER underlines the claim for sole agency that this center has; its absence would point to it being a center, one of many. In order to highlight it on the other hand, as center of all centers, even in commerce one does not like to go without trusty additions such as ‘your personal X-Center’ or ‘the Y-Center for all the family’ and so on. Sanguineti’s refusal of such a personal approach makes it seem uniquely distinctive: the CENTER seems to have no need for such explanation.
The attraction of such an installation in a city center gallery is thanks to a second reading, more psychological than aesthetic. In terms of how we feel, centerd is rather the execption in a life which mainly swings between extremes. Being centerd, the stillness within the cyclone, is seldom as stable as those apparently solid types might suggest. Unlike enduring calm, equilibrium is just that: an incessant correction of unbalance with the aid of micro-movements. The rarer it is to be centerd, the greater the promise of the CENTER – although, or because, it ultimately promises the unattainable.
The unreality of the experience of equilibrium is also reason for the inflationary use of words such as ‘balance’ and ‘harmony’ in advertising. Like a provocation, the CENTER turns this promise out towards the window and so to the public – an almost impertinent claim of a mythical condition. The apparently universal validity of this word, common to many languages, is deceptive. Instead of taking a word that is near to neutral in its distribution, Sanguineti’s choice is the US-American version of a word which in the British catchment area is center. Therefore the fact that we unquestioningly accept the American version as the norm mirrors a political reality of the USA as perceived center.
The attraction of the CENTER comes down to the fact that it stands for both the actual and target state. We feel directly addressed simply by the sight of it; for every human being actually is center of the universe – the center of experiential reality. On the other hand it shows a target state because we subliminally tend towards the view that the CENTER stands for our rightful place, our ancestral home, where we belong – in the center.
In this respect, entering the exhibition promises the official recognition of secretly perceived truths. A glance in the mirrored center will finally confirm that it contains what one always suspected: ones self. And so can the center of the universe – the ego – finally take up its rightful place on the throne.
Barely does one seem to be on target, however, and the Fata Morgana dissolves. Unlike a spatial situation, writing does not allow us to reside in the center. Instead, our back is literally up against a wall, one which refuses all access, any setting of oneself in the center. The hoped-for collapse of word and content proves to be an untenable promise. Powerful, alluring and unapproachable, the center stands before us. We may look inside but once more it is so near and yet so far.