Seit den 1970er Jahren hat Raimer Jochims seine künstlerische Arbeit in viel diskutierten Veröffentlichungen begleitet. So entwickelten sich sein gestalterisches und schriftstellerisches Werk parallel, doch unabhängig voneinander. Statt Texte zu bebildern oder aber umgekehrt seine Malerei lediglich zu kommentieren, stellen beide Bereiche gleichwertige Methoden der Untersuchung gesellschaftlicher Prozesse dar. Jochims kunstgeschichtliche Reflexionen beleuchten zudem die Gesetzmäßigkeiten des Zusammenhangs von Farbe und Form, deren optimale Übereinstimmung er in seinem Konzept der ‘visuellen Identität’ zusammenfasst.
Die Wirkungen der Farbe – aktiv/passiv, extrovertiert/introvertiert, ausdehnend/zusammenziehend, dauerhaft/flüchtig, schwer/leicht – verlangen nach entsprechend geformten Flächen, um ihre Eigenschaften voll zu entfalten. Um die Farbtendenzen nicht durch das rechtwinklige Format zu behindern, das sich der einstigen Abbildfunktion des Bildes als vorgestelltes Fenster in der Wand verdankt, verwendet Jochims organisch geformtes Material – sei es gerissenes Papier, Naturstein oder aber handgeformte Spanplatten.
Auf die letztgenannte Hybride zwischen Malerei und Skulptur konzentriert sich die Ausstellung in den Galerieräumen. Diese Auswahl verdankt sich einerseits dem sinnfälligen Zusammenspiel von Kontur und Farbe, zum andern der semantischen Bedeutung des aus zertrümmertem Holz gepressten Bildträgers, dessen Entstehung durch Zerstörung von Pflanzen im Widerspruch zur Lebendigkeit seiner farbigen Fassung steht. Letztlich aber scheint die entropische Masse ungeordneter Holzsplitter das Äquivalent einer auf ökonomischer wie ökologischer Ausbeutung basierenden Zeit. Das Zerbrechen und Umgestalten des Konglomerats aus toter Natur und künstlichen Klebstoffen stellt somit eine zeitgemäße Metapher dar für eine allgegenwärtige soziale Fragmentierung. Somit verkörpert die Spanplatte den Prozess der Zerstörung und Synthese einer gewachsenen Einheit. Ebenso relevant jedoch wie die Heterogenität der gewaltsam zusammen gepressten Rudimente ist die ihren Zusammenhalt gewährleistende Kohäsion, die auf physischer Ebene durch Leim, auf optischer durch Farbe entsteht.
Die kleinteilig gespachtelten Farbschichten wiederholen die Richtungslosigkeit der darunter verborgenen Späne, wodurch sich eine die Wahrnehmung statt Wiedererkennung ansprechende dezentrale Textur ergibt. Da das kontrollierte Brechen der Spanplatte eine Formgebung „nach den Anforderungen der Farbe“ erlaubt, wobei die Kontur bei genauem Hinsehen ein zackiges Profil aufweist, dramatisiert die raue Silhouette den Kontrast zwischen Farbkörper und Umgebung und erlaubt ein Ausgreifen des Gemäldes und ein Eingreifen des Raums.
Abgesehen von den Erfordernissen der Farbe sind die Umrisse häufig von Artefakten vergangener Epochen inspiriert, deren gleichzeitig abstrakte wie expressive Gestaltung Jochims Interesse weckten. Die sich aus dem Verhältnis zwischen Farbe und Form ergebenden optischen Gewichte und Richtungstendenzen bestimmen die Platzierung der Arbeiten auf der Wandfläche.
Die Präsentation dieser Werkgruppe wird von einzelnen Papierarbeiten begleitet.
Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung wird die überarbeitete Neuauflage von Raimer Jochims Visuelle Identität – Visuelle Konzepte von Piero della Francesca bis zur Gegenwart (hg. von Dirk Conrad und Jacky Strenz) vorgestellt:
Since the 1970’s Raimer Jochims has been accompanying his art work with greatly-discussed publications. This way, his creative and his literary activities evolved in a parallel yet independent fashion. Far from illustrating texts or merely commenting on his painting, both spheres function as equivalent methods to investigate social processes.
Jochims’ art historical reflections do, however, elucidate relations between colour and form, whose ultimate congruency he summarizes in his concept of ‘visual identity.’ The various virtues of colour – active/passive, extrovert/introvert, expanding/contracting, durable/ephemeral, heavy/light – require corresponding shapes in order to fully unfold their impact Instead of preventing colour from doing so by confining it to rectangular formats, Jochims utilizes organically shaped materials like natural stone, torn paper or hand-shaped chipboard.
One reason for this concentration on these hybrid forms, unifying painting and sculpture, is the persuasive interaction between outline and colour. Also seen are the multiple semantic levels of this foundation made from shattered wood; its fabrication by means of the destruction of plant stands in stark contrast to the liveliness of its vivid colouring. However, the random bulk of wooden slivers seem to be an adequate equivalent of a world based on economical and ecological exploitation.
Since Jochims does not so much cut but break the board with tongs, the act of demolition and reshaping of this hybrid gathered from organic and synthetic matter, consisting of harvested vegetation and artificial glue, seems a topical procedure, given the ubiquity of social fragmentation. Hence chipboard embodies the progression of dissolution and synthesis of a former entity.
As crucial as the heterogeneity of the violently compressed particles is to the cohesiveness, it is physically brought about by paste; respectively, by colour on the visual level. Worked with a palette knife, the detailed layers of paint continue the non-directedness of the chips they cover, giving rise to a decentralized texture which courts perception instead of recognition.
While this deliberate cracking of the board allows for a contouring “responding to the color’s demand”1, the outline remains jagged. The riven profile emphasises the border between painted surface and its surrounding, thus enabling the sculpture to reach out, and for the space to reach in.
Apart from the colour’s requirements, some outlines are inspired by artifacts of ancient cultures, which would draw Jochims’ interest for their abstract and yet expressive qualities.
The paintings’ position across the walls will be determined by the visual weight and direction resulting from the colour-form relationship. Accompanying this particular series a number of works on paper will be presented. The revised republication of Jochims’ standard work Visuelle Identitaet (edited by Dirk Conrad and Jacky Strenz) will be launched at the exhibition’s opening.